„Der Fussball muss immer der Startpunkt sein. Auch im Athletik- und Fitnesstraining“ – Ein Experten-Interview mit Saban Uzun

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Der A-Lizenzinhaber und studierte Sportwissenschaftler sammelte bereits im Alter von 16 Jahren seine ersten Trainererfahrungen.

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Der A-Lizenzinhaber und studierte Sportwissenschaftler sammelte bereits im Alter von 16 Jahren seine ersten Trainererfahrungen. Mit dem Beginn seines Sportstudiums und der Anstellung im Nachwuchsleistungszentrum des VfB Stuttgart, hängte er seine eigenen
Fußballschuhe an den Nagel und widmete sich fortan ausschließlich seinen
Trainertätigkeiten. 2013 wurde er als jüngster Cheftrainer in der Frauen-Bundesliga
vorgestellt und trainierte zuletzt die Nachwuchstalente des deutschen Meisters, DFB-Pokal
und Champions League Siegers VfL Wolfsburg.


Neben zahlreichen Fort- und Ausbildungen beim DFB sowie Hospitationen unter anderem
bei Thomas Tuchel und der Nachwuchsakademie bei Real Madrid, ist er einer der ersten
Trainer im deutschsprachigen Raum, der die elitären Ausbildungskurse „Football Tactic
Evolution“, „Football Periodisation“, „Football Braining“, „Expert Meeting“ und „Pro Course“
in Raymond Verheijens World Football Academy absolvierte.


Als Mitglied des Trainerlehrstabs und Talenttrainer des Württembergischen
Fußballverbandes, gibt er mit der Gründung der AVANT FOOTBALL ACADEMY sein
erworbenes Fussballwissen nun auch exklusiv an Trainer, Spieler und Vereine weiter.

Hi Saban du beschäftigst dich seit vielen Jahren als Spieler und Trainer mit dem
Fußball. Was fasziniert dich so an dieser Sportart?

Welche Faszination der Fußball auf mich hat, kann eine kleine Anekdote besser erklären,
als ich es mit Worten beschreiben kann: als damaliger C-Jugendspieler kam ich von der
Mittagsschule nach Hause, wollte kurz meine Tasche packen und wieder los ins Training.
Leider hatte ich meine Schlüssel nicht dabei und es war auch niemand zuhause, der mir
hätte die Türe öffnen können. Das Training abzusagen kam für mich nicht in Frage. Ich
musste einen Weg finden, rein zu kommen. Nachdem ich erfolglos versucht hatte, die
Haustüre einzutreten, entschied ich mich dafür eine Scheibe einzuschlagen.
Dafür musste ich an der Hauswand in die zweite Etage klettern, um die Scheibe des
Badezimmers einzuschlagen. Als ob es gestern gewesen wäre: in dem Moment, in dem
ich durch das Fenster reinklettere, kamen meine Eltern zur Wohnungstüre rein. Schnell
meine Tasche gepackt, an meinen Eltern vorbei gerannt zum Sportplatz. Erst als ich
wieder vom Trainingsplatz ging, wurde mir bewusst, was mich zuhause wohl erwartet,
neben der Narbe am Handgelenk, die ich mich immer an diese Situation erinnern wird.

Das Spiel an sich hat eine immense Anziehungskraft. Fußball ist ein einfaches Spiel. Man
muss nur den Ball öfter ins gegnerische Tor schießen, als man ihn ins eigene Tor
bekommt. Es ist aber nicht leicht die einfachen Dinge richtig zu machen und komplex, weil
das aufgrund seiner besonderen Gegebenheiten schwer zu kontrollieren ist. Da der
Gegner im Fußball immer unberechenbar sein wird, ist das Fußballspielen interessant und
herausfordernd. Du weißt nicht, was passiert, aber es kann jeder Zeit was passieren.
Einzelspieler interagieren in einer Mannschaft miteinander, müssen ihre Entscheidungen
allerdings alleine treffen und ausführen, was wiederum Konsequenzen für die Mannschaft
hat. Das macht das ganze so interessant, es ist unberechenbar, unvorhersehbar und
verleiht dem Spiel dadurch eine ästhetische Schönheit. Es gibt unendlich viele
Möglichkeiten, großartigen Fußball zu spielen und Tore zu erzielen. Einfach faszinierend zuzuschauen, unabhängig davon, ob man einfach nur Unterhaltung sucht, oder das Spiel liebt.

Was sind für dich im Moment die spannendsten Themen im Fußball?
Als Trainer ist und bleibt für mich das spannendste Thema, wie ich mich selbst und meine
Spieler verbessern und entwickeln kann. Dabei muss man sich zwangsläufig mit dem
menschlichen Lernen & Verhalten und der Steuerzentrale des Menschen
auseinandersetzen. Das Gehirn ist für alles verantwortlich, was auf dem Platz passiert.
Wie ein Spieler denkt, welche Entscheidungen er trifft und welche Entscheidungen
schlussendlich wie ausgeführt werden. Die Entscheidungsfindung und das Verhalten der
Spieler ist ein unbewusster Prozess. Um ein praktisches Beispiel zu nehmen: in einer
beliebigen Spielsituation verliert ein Spieler den Ball. Jeder weiß, auch der Spieler, dass er
nicht stehenbleiben, sondern seinen Gegenspieler unter Druck setzen sollte, um den Ball
zurück zu gewinnen. Doch das Gehirn funktioniert nicht so. Daher ist es für mich ein sehr
spannendes Thema, wie man Spieler dazu bringen kann, das zu tun, was sie tun sollen,
ohne ihnen sagen oder zuschreien zu müssen, was sie tun sollen. Denn Fußballaktionen
sind also unbewusste Reiz-Reaktions-Muster, das hat Konsequenzen für die Arbeit als
Trainer.

Welche Konsequenzen hat das für das Training?
Wie Spieler lernen, beantwortet die Frage, wie sie trainiert werden müssen. Hauptsächlich
werden Spieler immer noch entgegen der menschlichen Entwicklung des Gehirns,
trainiert. Wir erwarten, dass die Spielfähigkeit und das verbesserte Verhalten unserer
Spieler aus ihrem wachsenden Verständnis resultiert. Doch in Wirklichkeit ist meist
Verständnis eine Folge der Kompetenz. In der menschlichen Evolution kam die
Kompetenz vor dem Verstehen, so hat sich das Gehirn über einen Zeitraum von
Tausenden von Jahren entwickelt. Dies kehrt die zutiefst plausible Annahme um, dass das
Verständnis tatsächlich die Quelle aller fortgeschrittenen Kompetenz ist. Spieler lernen
also am meisten, wenn sie zuerst etwas erleben, bevor über dieses Etwas gesprochen
wird. Das ist im Übrigen nicht meine persönliche Meinung, sondern Psychologie und noch
mehr Biologie. Als Trainer muss ich verstehen, wie Spieler in der Fußballumgebung
interagieren und benötige einen riesigen Werkzeugkasten mit Reiz-Reaktions-Mustern:
welche Situationen (Stimuli) lösen welche Reize (Reaktion) aus? Wenn ich das verstehe,
dann kann ich Situationen schaffen, von denen ich glaube, dass sie ein bestimmtes
Verhalten auslösen. Dann kann ich Top-down eine Trainingssituationen erzeugen, um ein
bestimmtes Verhalten für einen Bottom-Up Lern- und Trainingsprozess auszulösen. Um
dem Spieler so zu trainieren, dass ich ihm helfe, bessere Aktionen auszuführen, muss ich
sein unbewusstes Gehirn konditionieren.

Kannst du bitte genauer darauf eingehen?

Wenn wir Fußball trainieren, dann ist der wichtigste Trainingsreiz der Overload des
Gehirns. Die Gehirnleistung und insbesondere die Ermüdung des Gehirns sowie die
Erholung des Gehirns sind grundlegende Prinzipien der Trainingsplanung. Meine Aufgabe
ist es, Spieler mit einem starken Gehirn zu entwickeln, die in der Lage sind mit
Rückschlägen, Ermüdung und Fehlern umzugehen.
Eine schnellere Erholung ist z.B. die Folge des Fußballdenkens. Das Gehirn ist von
höherer Bedeutung als die Energiesysteme. Das kann ich natürlich nicht mit allgemeinen
Gehirnübungen trainieren, sondern nur durch das Training des Fußballgehirns und den
vier Charakteristiken des Denkens im Fußballkontext. Dafür muss ich sie in konkrete

Spielsituationen bringen, damit ihr Gehirn lernt, damit umzugehen. Der indirekte
Trainingseffekt ist die Auswirkung auf die Taktik, die Spielintelligenz, die Technik und die
Fußballfitness.

Was bedeutet für dich als Fußballtrainer Fitness/Athletik im Fußballkontext?
Erst der Kontext einer Bewegung macht diese zu einer Aktion. Wer sitzt, braucht einen
Stuhl. Wer läuft, braucht einen Boden. Wer Fußball spielen will, benötigt einen
Fußballkontext. Um Athletik und Fitness im Fußball zu trainieren, benötigt man einen
Fußballkontext. Um herauszufinden, was z.B. Fitness im Fußballkontext bedeutet, muss
man die Eigenschaften des Spiels analysieren und verstehen. Das Spiel als
Ausgangspunkt liefert uns die Antwort:
ein zentraler Mittelfeldspieler ist im Ballbesitz. Noch bevor er etwas tut, passiert einiges
um ihn herum. Zum Beispiel läuft der rechte Flügelspieler nach vorne und teilt ihm damit
nonverbal mit, dass er einen langen Pass erhalten möchte. Hinter ihm ruft der
Innenverteidiger, dass er den Ball zurückspielen kann und kommuniziert mit ihm verbal.
Von seinem direkten Gegenspieler wird er unter Druck gesetzt, der ihm damit
kommuniziert, dass er sich lieber beeilen sollte, wenn er nicht den Ball verlieren will. Bevor
er etwas unternimmt, teilen ihm Mitspieler und Gegner Informationen mit. Auf Grundlage
aller erhaltenen Informationen trifft der Mittelfeldspieler mit Hilfe eine Entscheidung
darüber, was er tun wird. Nachdem er eine Entscheidung getroffen hat, führt er diese
Entscheidung aus. Diese Aktion muss der im Beispiel erwähnte Mittelfeldspieler nicht nur
einmal, sondern hunderte Male während eines Spiels absolvieren. Diese Aktionen so oft
wie möglich pro Minute (höheres Tempo) und so lange wie möglich ausführen zu können
(hohes Tempo beibehalten), ist Fußballfitness.

Was bedeutet das für das Fitnesstraining?
Die objektive und faktenbasierte Analyse des Spiels, liefert uns also die Definition der
Fußballfitness: Kommunikation (Taktik), Entscheidungsfindung (Spielverständnis) und
Entscheidungsausführung (Technik), so oft wie möglich (hohes Tempo) und so lange wie
möglich (90 Minuten). Die Funktion der Fitness besteht darin, einen bestimmten Spielstil
auf Mannschaftsebene und Fußballaktionen auf individueller Ebene in einem möglichst
hohen Tempo ausführen zu können und dieses Tempo neunzig Minuten lang
aufrechtzuerhalten. So ist die Fitness also ein integraler Bestandteil des Fußballs. Aus der
Sicht der Fitness ist das offensichtlichste Merkmal, dass Fußball keine Ausdauer, sondern
ein Intervallsport ist, bei dem man überwiegend kurze, explosive Aktionen macht. Nach
einer Aktion ist man außer Atem, hat aber nur wenig Zeit zum Verschnaufen, weil man
wieder eine Aktion machen muss. Der Sauerstoff wird in einer Fußballaktion zur Erholung
zwischen den Aktionen verwendet. Aus diesem Grund sind Ausdauerläufe für die
Entwicklung der Fußballfitness ungeeignet. Fitnesstraining sollte ein Bestandteil des
Fußballtrainings sein, um Spieler zu schnelleren Erholung zu trainieren. Den Spielstil als
Referenz beziehend, stimmt auch die Belastung der jeweiligen Position mit den
Anforderungen des Spiels überein. Fitness ist also nicht etwas, das man braucht, um
Fußball zu spielen, sondern etwas, das man durch das Fußballspielen entwickelt.

Welche Merkmale gilt es für das Athletiktraining zu berücksichtigen?
Wenn man den Fußball aus athletischer Sicht analysiert, kann man objektiv festhalten,
dass 80 – 90% der explosiven Fußballaktionen nach einem Richtungswechsel ausgeführt
werden. Das bedeutet, dass der Großteil aller Fußballaktionen nach dem Abbremsen
ausgeführt wird, also eine Entschleunigung- und anschließende Beschleunigungssituation.
Aus der Sicht des Muskels bedeutet das, dass zunächst eine exzentrische Kontraktion
erfolgt, bevor eine konzentrische Kontraktion ausgeführt wird. Die Vordehnung des
Muskels ist also eine der wichtigsten Komponenten, bevor eine Beschleunigung
durchgeführt wird. Wenn man die Athletik im Fußball trainieren will, muss man die
bestimmten Merkmale und Eigenschaften des Spiels in die Übungen integrieren. Doch
leider wird sowohl die Fitness als auch die Athletik im Fußball immer noch hauptsächlich
so gelehrt und praktiziert, als ob es etwas anderes als Fußball sei, man es außerhalb des
Kontexts trainieren kann und einen Übertrag in den Fußball gibt.

Wo denkst du liegen im Fußball noch die Größten Leistungsreserven Taktik?
Fitness? Athletik?

Wenn wir über Leistung reden, dann ist die Grundvoraussetzung die Verfügbarkeit meiner
stärksten Spieler. Was bringt mir die beste Taktik, Fitness, Athletik, oder der beste Spieler
der Welt, wenn er seine Leistung nicht abrufen kann, weil er z.B. nicht frisch ist, oder noch
schlimmer, wenn er verletzt ist und ich ihn nicht einsetzen kann? Eine der
unterschätztesten Tools ist, so zu periodisieren, dass ich immer mit meiner stärksten
Mannschaft trainieren und spielen kann, indem ich auf die einzelnen Spieler in bester
Verfassung zurückgreifen kann. Egal in welcher Liga auf der Welt, in welcher Mannschaft
auch immer: wenn du deine besten Spieler in der bestmöglichen Verfassung zur
Verfügung hast, hast du die besten Chancen zu gewinnen. Daher wird das Thema
Teamperiodisierung und Regeneration sowie die individuelle Periodisierung eine
wichtigere Rolle spielen. Auch hierbei bildet die Gehirnleistung, die Ermüdung und die
Erholung des Gehirns grundlegende Prinzipien der Fußball-Periodisierung.

Was genau beinhaltet die Periodisierung?
Periodisierung ist ein Tool, um die Qualität meiner Spieler über die gesamte Saison
aufrechterhalten zu können und zu gewährleisten, dass sie immer für Training und Spiele
zur Verfügung stehen. Wenn Spieler immer im Training und Spiel einsetzbar sind, kann ich
mehr Zeit dafür aufbringen, meine Spieler zu coachen, die Kommunikation,
Entscheidungsfindung zwischen den Spielern verbessern und ihnen helfen ein größeres
Verständnis zu entwickeln, wie sie den Spielstil ausführen können. Bei der Periodisierung
des Fußballs geht es darum, alle Fußballaktivitäten bestmöglich zu planen, um aus jeder
Trainingseinheit den maximalen Trainingseffekt zu erzielen und einen Verlust an
Trainingsqualität aufgrund von Ermüdungserscheinungen zu vermeiden.
Wenn man sich die aktuell erfolgreichsten Vereinsmannschaften der Welt anschaut, kann
man feststellen, dass sie gefühlt immer mit der stärksten Mannschaft spielen. Als letztes
Beispiel dient hierfür Liverpool unter Jürgen Klopp. Sowohl in der gewonnen Champions
League Saison als auch in der aktuell unterbrochenen Premier League hat Liverpool
nahezu die komplette Saison mit einem Kernteam von neun Spielern bestritten. Das
beweist, dass kaum Rotation und eine eingespielte Mannschaft, die wichtigste Grundlage
für eine erfolgreiche Saison bildet. Das bedeutet, dass etwa individuelle Belastungssteuerung durch Regeneration und Training auf einem absoluten Top-Level sein müssen.

Du betrachtest Athletik aus der Fußball Perspektive während wir aus der
Athletikperspektive in den Fußball schauen. Wer trägt die Verantwortung, wenn die
Spieler nicht „fit“ oder verletzt sind, Cheftrainer, Athletiktrainer, Physios oder Ärzte?

Es gibt nur einen, der viele Verletzungen vermeiden kann und das ist der Trainer. Eine
große Anzahl von Verletzungen kann durch ein ausgewogenes Training behoben werden.
Müdigkeit ist der schlimmste Feind eines Fußballspielers und erhöht das Verletzungsrisiko
enorm. Die Ermüdung während einer Trainingseinheit ist normal, denn die Spieler sollen
an ihre Grenzen gebracht werden. Wichtig ist, dass diese Ermüdung zwischen den
Einheiten verschwindet und sich nicht ansammelt.
Ein Spieler, der allerdings zwischen den Trainingseinheiten nicht genug Erholung
bekommt, akkumuliert die Müdigkeit, was zu einer Verlangsamung seines Nervensystems
führt. Die Signale des Gehirns an die Muskeln werden dann langsamer übertragen. Dies
geht auf Kosten ihrer Aktionsgeschwindigkeit und damit auf Kosten der Leistung, erhöht
aber auch die Verletzungsgefahr. Der Trainer sollte auf diese Balance achten.
Wenn das nicht ausreichend geschieht und aus der Ermüdung Verletzungen entstehen,
dann ist der Trainer dafür verantwortlich. Deshalb sollten die Trainer das medizinische
Personal nicht für Verletzungen verantwortlich machen.
Der schwedische Professor Jan Ekstrand, bewies diese Verbindung auf der Grundlage
von zwölf Jahren Forschung über alle Champions League-Teilnehmer. Ekstrand zeigt in
seiner Untersuchung auch, dass die meisten Trainer ihr Verletzungsbild von Verein zu
Verein mitnehmen.
Wenn ein Verein im letzten Jahrzehnt nur wenige Verletzungen hatte, aber einen Trainer
einstellt, der in der Vergangenheit strukturell viele Verletzungen hatte, dann steigt die Zahl
der Verletzungen bei diesem Verein plötzlich an. Umgekehrt ist es so, dass, wenn ein Club
jahrelang Probleme mit Verletzungen hat, aber plötzlich einen Trainer mit einer wenig
verletzungsintensiven Vergangenheit einstellt, die Zahl der Verletzungen bei diesem Club
plötzlich abnimmt. Die Ergebnisse der Studie von Ekstrand sind der ultimative Beweis
dafür, dass Verletzungen in erster Linie auf die Trainingsmethoden des Trainers
zurückzuführen sind. Daher sollten Trainer eine Verletzungskrise nicht mehr als etwas
betrachten, das ihnen unglücklicherweise passiert, weil sie Pech haben oder auf externe
Faktoren zurückzuführen sind, sondern als etwas, für das sie persönlich verantwortlich
sind. Denn Während der Trainingswochen werden die meisten Trainingseinheiten von den
Fußballtrainern geplant und geleitet, so dass sie für die Ansammlung von Müdigkeit
verantwortlich sind.

Trägt ein Cheftrainer heute zu Tage zu viel Verantwortung, da er auch nur ein
Zahnrad im Gesamtgebilde ist, oder sogar zu wenig Verantwortung. Ist es für dich
sinnvoll, dass ein Cheftrainer Themen wie Fitness an seinen Trainerstab abgibt oder
ist das vielleicht ein Fehler. Wie viel Experte muss ein Cheftrainer in alles Aspekten
des Spiels sein?

Die Gesamtverantwortung trägt der Cheftrainer, er ist der Dirigent des Orchesters, das
nicht nur aus seinen Spielern, sondern auch dem Trainerteam besteht. Er kann nicht
selber alle Instrumente spielen und benötigt daher definitiv einen funktionierenden Stab.
Welches Instrument, wann und wie eingesetzt wird, um eine harmonische Symphonie an
den Tag zu legen, muss er im Überblick haben. Er muss nicht Experte in allem sein, muss
aber Ahnung vom Spiel haben, um die Expertise aus anderen Fachgebieten
fußballspezifisch anwenden zu können.

An welchen Trainer oder Ausbilderpersönlichkeiten orientierst du dich am meisten?
Zweifelsohne muss ich sagen, dass die Ausbildung in der World Football Academy von
Raymond Verheijen mein komplettes Denken über den Fußball verändert und mir viele
offene Fragen beantwortet hat. Der entscheidende Unterschied, der die World Football
Academy von der herkömmlichen Trainerausbildung unterscheidet, ist, dass einem nicht
hauptsächlich subjektive Erfahrung und Meinungen gegeben werden oder nicht seine
Philosophie beigebracht wird. Denn „meine/unsere Philosophie“ impliziert, dass es eine
subjektive Meinung ist. Raymond hingegen verwendet Logik, um die Natur des Spiels
sprechen zu lassen. Dieser Ansatz ist objektiv, mit universellen Fakten und Prinzipien. Das
sind Schlussfolgerungen, die sich logischerweise aus der Struktur des Fußballs ableiten
lassen. Es ist universell, weil es objektiv ist. Raymond analysiert die fundamentale Natur
des Spiels und verwendet diese als logische Grundlage für einen theoretischen Ansatz zur
Entwicklung von Spielern und Teams. Raymond gibt nicht nur wichtige Antworten, sondern
stellt auch die wichtigen Fragen, die Trainer zum Nachdenken bewegen und viele der
unerschütterlichen Überzeugungen im Fußball zu hinterfragen.

In Deutschland findet man darüber nur sehr wenig Informationen.
Ja, das stimmt. Denn die Kurse finden in englischer Sprache auf der ganzen Welt statt,
bisher allerdings noch kaum in Deutschland. Doch in naher Zukunft wird es auch hier mehr
Zugang zur Ausbildung geben und bald werden die Bücher in deutscher Sprache
veröffentlicht.

Gibt es hierzu schon genauere Infos?
Das erste Buch wird mit dem Titel „Wie einfach kann es sein?“ erscheinen. In seiner
Karriere hat Raymond Verheijen unter anderem Teams wie den FC Barcelona, FC
Chelsea und Manchester City gecoacht und beraten und ist zudem der einzige Trainer im
internationalen Fußball, der an allen Europameisterschaften und Weltmeisterschaften seit
2000 teilgenommen hat. In „Wie einfach kann es sein?“ wird man zu all diesen
Trainerstationen mitgenommen und erhält so einzigartige Lektionen. Es ist allerdings keine
Biografie, in der es um skandalöse Geschichten geht. Vielmehr werden einem anhand von

Beispielen die objektiven Erkenntnisse & Methoden erklärt, die sich in den verschiedenen
Stationen immer wieder als sehr wirkungsvoll erwiesen haben. Während der Ausbildung ist
mir die Idee gekommen, dass wirklich jeder Trainer das Buch gelesen haben muss. Das
Buch hat definitiv dazu beigetragen, dass ich mehr vom Spiel verstehe und meine Aufgabe
als Trainer anders betrachte. Also habe ich mich mit Raymond über diese Idee
unterhalten. Da er diese Idee genauso super fand, habe ich mich dazu bereit erklärt, die
Arbeit auf mich zu nehmen und die Bücher zu übersetzen. Aktuell befinde ich mich in der
finalen Korrekturphase und hoffe, dass die Bücher bald in Druck gegeben werden können.

Warum hast du dich dazu entschieden, dieses Buch zu übersetzen?
Wenn man sich die Fußballliteratur in Deutschland anschaut, muss man leider feststellen,
dass es wenig Literatur gibt, die sich an den tatsächlichen Fakten des Spiels orientiert. Ich
finde es eine schöne Möglichkeit, meinen Teil dazu beizutragen, dass objektives
Fußballwissen für die deutscher Trainer in deutscher Sprache verfügbar sein wird. In den
meisten Seminaren, Kursen oder Büchern geht es meistens um schnelle Lösungen und
Übungen und nicht um objektive Informationen über das Spiel und wie man sein Wissen
verbessern kann. Vielleicht entsteht dadurch in Deutschland eine Trainer-Community, die
sich zukünftig objektiv über Fußball austauscht und diskutiert, anstatt sich gegenseitig von
ihren Meinungen überzeugen zu wollen. So erhalten hoffentlich immer mehr Trainer die
Möglichkeit, sich über ihre Inkompetenzen bewusst zu werden und noch bessere Trainer
zu werden. Am Ende profitieren davon die Spieler.

Wie verbreitet sind seine Konzepte schon im deutschen Fußball. Dabei meine ich
auch nicht nur Profifußball sondern zum Beispiel auch im Amateurbereich.

Ich weiß, dass Peter Bosz, aktuell bei Bayer Leverkusen z.B. mit dem Fußball-Fitness-
Model und mit gewissen Prinzipien der Periodisierung wie „weniger Training ist mehr“

arbeitet. Ohne direkten Einblick ist es schwierig, die Frage glaubwürdig beantworten zu
können. Wenn man allerdings die Vorbereitungsphasen der Bundesligen, oder auch im
Amateurfußball bestimmte Trends beobachtet, kann man schon erkennen, dass immer
noch sehr traditionell trainiert wird.

Viele Trainer egal, welches Leistungsniveau sie trainieren, geben als Trainer oft vor
allem ihre eignen Erfahrungen und ihr eigenes erlebtes Training weiter. Du bist
selbst Trainerausbilder beim Württembergischen Fußballverband. Ist das aus deiner
Sicht der genau richtige Weg oder vielleicht auch ein Hemmnis für neue Ideen und
Entwicklungen?

In der Fußballwelt wird die Erfahrung eines Trainers als Spieler leider oft noch höher
angesehen als seine Ausbildung. Trainerkurse und Lizenzen werden als eher notwendiges
Übel betrachtet und es herrscht noch weit verbreitet die Annahme, dass die Erfahrung als
Spieler erst mal ausreicht und man sich ohne jegliche Ausbildung zum Trainer entwickeln
wird. Die Fußballwelt ist sehr konservativ, in der die meisten Menschen den traditionellen
Status quo schützen wollen, gerne in ihrer Komfortzone bleiben und die Vergangenheit zu
nutzen, um etwas zu haben, auf das sie zurückgreifen können. Es wird noch als völlig
normal betrachtet, dass Trainer ihre Arbeit auf Grundlage ihrer eigenen subjektiven
Meinungen, Erfahrungen und Begriffe angehen und dazu neigen, das zu kopieren, was

ihre Trainer vor zwanzig oder dreißig Jahren gemacht haben. Aber wir fahren auch nicht
mehr die Autos von vor dreißig Jahren und auch die Technologie und Digitalisierung findet
nicht mehr wie vor dreißig Jahren statt. Das trifft gleichermaßen auf den Profi wie auf den
Amateurfußball zu. Warum sollten also unsere Spieler so ausgebildet werden wie vor 30
Jahren? Der Fußball ist im Vergleich zu anderen Sportarten eine unterentwickelte Sportart,
gemessen am Rahmen der Möglichkeiten. Auch das Spiel hat sich weiterentwickelt, ist
stetig im Wandel und neue Erkenntnisse fließen ein. Wir müssen uns sogar eher
dahingehend Gedanken machen, wie wir bereits heute die Trainer und Spieler für die
Anforderungen der Zukunft ausbilden. Bessere Trainer machen bessere Spieler und
bessere Spieler machen bessere Trainer.

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