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Propriozeptives Training – Definition und Übungen

Einen Sturz abfangen, sobald man stolpert, nach einem Glas Wasser greifen oder einfach nur Stehen oder Sitzen.

Propriozeptives Training – Definition und Übungen

Einen Sturz abfangen, sobald man stolpert, nach einem Glas Wasser greifen oder einfach nur Stehen oder Sitzen. All diese selbstverständlichen Handlungen, die scheinbar mühelos und ohne bewusstes Nachdenken erfolgen, werden mithilfe eines Systems im menschlichen Körper gesteuert – dem propriozeptiven System. Dieser essenzielle Bestandteil der Körperwahrnehmung ist für jede motorische Aktivität notwendig. Im folgenden Blogartikel erfährst Du mehr über die Funktionen des propriozeptiven Systems und wie dieses mithilfe gezielten propriozeptiven Trainings gefördert werden kann, um die sportliche Leistungsfähigkeit zu erhöhen und Verletzungen vorzubeugen.

Das propriozeptive System

Das propriozeptive System ist für die Bewegungssteuerung und Statik im Körper verantwortlich. Es kann auch als Navigationssystem des Körpers bezeichnet werden, da es sämtliche Bewegungen wahrnimmt, kontrolliert und reguliert. Das propriozeptive System hat kein einzelnes Sinnesorgan, sondern verteilt sich über den gesamten Körper. Zahlreiche Sinnesrezeptoren (Propriorezeptoren) in Muskeln, Bändern, Gelenken und Sehnen senden pausenlos Informationen an das Gehirn und informieren dieses über die Körperhaltung, die Position der Gliedmaßen und Bewegungen. Das propriozeptive System kann in vier Teilbereiche unterteilt werden:

  • Den Stellungssinn –> gibt Auskunft über die Position des Körpers im Raum
  • Den Bewegungssinn –> gibt Auskunft über die Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung
  • Den Spannungssinn –> Informationen über den Grad der Muskelspannung
  • Den Kraftsinn –> wird benötigt, um die Muskelkraft abzuschätzen, die für eine bestimmte Bewegung benötigt wird

Das propriozeptive System arbeitet Hand in Hand mit dem visuellen System und dem Gleichgewichtssystem, um so für einen effizienten Bewegungsapparat zu sorgen. Propriozeptive Wahrnehmung wird auch als Tiefensensibilität oder Tiefenwahrnehmung bezeichnet, manchmal auch als „sechster Sinn“, und läuft zum größten Teil unbewusst ab.

 

Was ist propriozeptives Training?
Auch wenn die Tiefenwahrnehmung größtenteils unbewusst im Körper abläuft, kommt ihr eine enorme Bedeutung zu. Sie kann mit gezielten Übungen trainiert und somit verbessert werden. Propriozeptives Training schult die Tiefenwahrnehmung und hilft dabei, Reize schneller aufzunehmen und zu verarbeiten. Es schärft die Koordination und verbessert Bewegungsabläufe. Propriozeptives Training kann dazu genutzt werden, um die allgemeine sportliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Es ist aber besonders essenziell bei der Verletzungs- und Sturzprophylaxe, denn ein geschultes propriozeptives System ist in der Lage, die Reaktionsfähigkeit zu verbessern und somit z.B. Stürze zu verhindern. Daher findet propriozeptives Training auch immer mehr Beachtung im Kontext von Rehabilitation. Wer die Tiefenwahrnehmung regelmäßig trainiert, profitiert von einem ausgeprägteren Gleichgewichtssinn sowie einer verbesserten Stabilität und beugt so künftigen Verletzungen vor. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Vorteilen, die durch gezieltes propriozeptives Training erreicht werden können. Dazu zählen:

  • Stabilisierung von Gelenken
  • Bessere Koordinationsfähigkeit
  • Prävention von Verletzungen
  • Reduzierung von Verspannungen
  • Erhöhung der körperlichen Reaktionsfähigkeit
  • Verbesserung des Gleichgewichtssinns
  • Kräftigung der Tiefenmuskulatur
  • Unterstützung bei der Heilung von Verletzungen
  • Zusammenspiel von Muskeln und Muskelgruppen fördern
  • Ganzheitliche körperliche Leistungssteigerung

 

Aus welchen Übungen setzt sich Propriozeptives Training zusammen?
Propriozeptives Training basiert vor allem auf Balance- sowie Konzentrationsübungen und variiert je nach Trainingsstand und individuellen Zielen. Darüber hinaus kann propriozeptives Training effektiv zur Schmerzbehandlung- und Prävention genutzt werden, indem Gelenke, Muskeln und Bänder mit gezielten Übungen stabilisiert werden und deren Zusammenspiel optimiert wird. Eine wöchentliche Einheit von 5 bis 20 Minuten ist dabei schon ausreichend, um für den Alltag Erfolge zu erzielen. Dadurch lässt sich propriozeptives Training ganz einfach in den Alltag oder bereits bestehende Trainingseinheiten integrieren. Propriozeptives Training kann schon mit sehr einfachen Übungen und ohne teure Hilfsmittel erfolgen. Die folgenden Übungen sind vor allem förderlich für die Stabilisation für das Sprung- und Kniegelenk:

Auf einem Bein stehen: Diese simple Übung zählt ebenfalls in den Bereich des propriozeptiven Trainings und schult das Gleichgewicht. Um den Schwierigkeitsgrad beim Einbeinstand zu erhöhen, können Hilfsmittel wie Wackelbretter, Balancekissen und Trainingsbänder verwendet werden.

Hüftpendel: Um die Hüfte zu mobilisieren, stellst Du Dich aufrecht hin und hebst zunächst das rechte Bein an. Sowohl an der Hüfte als auch am Knie sollte ein 90 Grad Winkel gehalten werden. Anschließend lässt Du das Bein in einer pendelartigen Schwenkbewegung hin und herschwingen. Die Bewegung sollte von der Hüfte ausgehen, das Standbein bleibt dabei in einer neuralen Position. Die Schwenkbewegung sollte fünfmal wiederholt werden, danach wird das Bein gewechselt.

Kniekreisen: Um das volle Bewegungspotential des Kniegelenks auszuschöpfen, kann Kniekreisen die Lösung sein. Stelle Dich aufrecht hin und setze ein Bein als Spielbein nach vorne. Auf diesem sollte das Gewicht zu etwa 70 % liegen, während die übrigen 30 % auf dem hinteren Bein lasten. Nun lässt Du aus dieser Position heraus das Knie kreisen, indem Du es nach vorne schiebst, dann nach rechts, nach hinten und links bewegst. Diese Kreisbewegung führst Du fünfmal durch, dann wird das Bein gewechselt.

Beckenaufrichtung: Bei dieser Übung beginnst Du in einer aufrechten Position. Dann ziehst Du das Schambein bis zum Bauchnabel und kippst langsam und kontrolliert das Becken nach hinten, bis ein leichtes Hohlkreuz entsteht. Nach und nach erweiterst Du den Bewegungsumfang bis Du, solange ohne Schmerzen möglich, das Becken maximal nach vorne und hinten schieben kannst.

Knie und Beckenmobilisierung: Stell Dich aufrecht hin und lege ein Bein nach hinten auf einen Stuhl ab, ähnlich wie bei der Ausführung von Bulgarian Split Squats. Um das Becken zu mobilisieren, beginne nun langsam das Becken, wie bei Übung 4, nach vorne und hinten aufzurichten.

Kniebeugen mit Fersenheben: Mit dieser Übung optimierst Du die Stabilität der Sprunggelenke. Positionierte Dich dazu in einer breiten Kniebeuge. Achte darauf einen Kniewinkel von 90 Grad herzustellen, die Knie dürfen leicht nach außen zeigen. Behalte diese Position bei und beginne nun Deine Fersen anzuheben und wieder zu senken. Der Oberkörper sollte während der gesamten Ausführung gerade bleiben.
 

Die Tiefenwahrnehmung lässt sich aber auch mithilfe von zahlreichen Hilfsmitteln noch
gezielter unterstützen:

  1. Ballsitzkissen/Balancekissen
    Mithilfe eines Ballsitzkissens oder Balancekissens kann die Tiefenwahrnehmung gezielt trainiert werden. Es können, je nach Trainingsstand und Ziel, verschiedene Übungen ausgeführt werden – von simplen Halteübungen bis zu Kniebeugen auf dem Kissen. Je nach Füllgrad des Kissens ist der Untergrund instabiler und der Schwierigkeitsgrad somit höher.
     
  2. Wackelbretter
    Wackelbretter sind ebenso ausgezeichnet für propriozeptives Training nutzbar. Sobald man sich mit den Füßen daraufstellt, muss man die Balance alten, da das Brett sonst nach vorne, hinten oder zur Seite kippt. Auch hier kann die Schwierigkeit wieder durch zusätzliche Bewegungen wie Kniebeugen erhöht werden.
     
  3. Therapiekreisel
    Der Therapiekreisel funktioniert nach demselben Prinzip wie das Wackelbrett, hat allerdings einen höheren Schwierigkeitsgrad, da der Kreisel zu allen Seiten instabil ist.
     
  4. Pezziball
    Sobald Du Dich auf den Ball setzt, ohne dass die Füße Kontakt zum Boden haben, trainierst Du Deine Balancefähigkeit.
     
  5. Trampolin
    Ein Trampolin stärkt durch den instabilen Untergrund die Balancefähigkeit und durch das Hüpfen wird das Zusammenspiel von Muskeln aktiviert und die Gelenke stabilisiert.
     
  6. Trainingsbänder
    Mit Trainingsbändern wie Therabändern oder Trainingsloops können Übungen intensiviert werden, besonders in Kombination mit instabilen Untergründen.
     

Für wen ist Propriozeptives Training geeignet?
Egal ob Leistungssportler, Profisportler oder Hobbysportler– prinzipiell kann jeder von propriozeptivem Training profitieren. Eine verbesserte Tiefenwahrnehmung ist zwar besonders im sportlichen Bereich nützlich, erweist sich aber auch im Alltag als sehr hilfreich. Denn bei verminderter Reaktionsfähigkeit, sei es durch Alter, Krankheit oder vorausgegangenen Verletzungen, kann propriozeptives Training helfen, die Gefahr (weiterer) Verletzungen zu minimieren. Darüber hinaus ist der Alltag der Gesellschaft zunehmend von sitzenden Tätigkeiten und wenig Bewegung geprägt, die immer häufiger bereits in jungen Jahren zu chronischen Verspannungen und Rückenschmerzen führen. Propriozeptives Training hilft hierbei, die Haltung zu verbessern und dem entgegenzuwirken. Für Profisportler hingegen, ist propriozeptives Training ein effektives Mittel zur Leistungssteigerung. Gerade in Bereichen wie Fußball, Handball oder Kampfsport ist ein schnelles Reaktionsvermögen ein wichtiger Bestandteil für den Erfolg. Aber auch beim Bodybuilding, Cross-Fit und Kraftsport findet propriozeptives Training seine Anwendung, um Verletzungen vorzubeugen, die Tiefenmuskulatur zu stärken und das Zusammenspiel von Muskeln zu fördern. Das propriozeptive System ist ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Körperwahrnehmung. Es sendet pausenlos detaillierte Informationen über die Körperhaltung, Lage und Position der Gliedmaßen an das Gehirn und steuert so unterbewusst die gesamte Motorik. Somit ist ein gut funktionierendes propriozeptives System für jeden Menschen essenziell. Mithilfe eines gezielten propriozeptiven Trainings kann jeder seine Tiefenwahrnehmung fördern und so Beweglichkeit, Koordination und Gleichgewicht verbessern – sei es im Alltag oder im Spitzensport.

*Aus Gründen der Verständlichkeit wird das generative Maskulinum verwendet